Zum Ukrainekrieg
gemeinsam mit der Leitung von Burg Rothenfels möchten wir als wissenschaftliches Komitee des Symposiums hier unsere Position in der Debatte um Putins Invasion in der Ukraine erläutern:
Seit mehr als zwei Monaten herrscht wieder Krieg in Europa. Täglich erreichen uns Nachrichten und Bilder vom Grauen des Kriegs, von schrecklichen Verwüstungen und ungezählten Toten. Während die Menschen in der Ukraine um ihr Leben kämpfen, formiert sich in der westlichen Welt eine große Welle der Solidarität, die neben eindrucksvollen symbolischen Akten auch unglaublich viel konkrete Hilfe für die Ukraine und die Millionen ukrainischer Flüchtlinge auf den Weg gebracht hat.
Dass in dieser Atmosphäre auch Rufe laut werden, die nun zu einem Boykott alles Russischen aufrufen, russische Kunst und Kultur mit einem Bann belegen wollen und alle Menschen russischer Staatsangehörigkeit zu Feinden erklären, ist verständlich. Auch an uns sind Forderungen herangetragen worden, unsere russischen Referenten wieder auszuladen. Während wir bereits frühzeitig ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine gesetzt haben, haben wir uns allerdings entschieden, an unserem Programm, das auch die russische Tanzgeschichte beleuchtet, und unseren Referenten aus Russland festzuhalten. Dies ändert selbstverständlich nichts an unserer Verurteilung von Putins Angriffskrieg und unserer Solidarität mit den Menschen in der Ukraine.
Als Tanzhistoriker sind wir gewohnt, die europäische Geschichte in ihrem Kontext zu betrachten. Dass wir uns intensiv mit der erfreulichen Seite des Tanzes auseinandersetzen, läßt uns keineswegs die überall und in allen Jahrhunderten anzutreffenden Gräuel des Kriegs übersehen oder verharmlosen. Es ist uns auch bewußt, dass die vergangenen 70 Jahre Frieden ein außergewöhnliches Ereignis der europäischen Geschichte war. Gerade deshalb sind wir davon überzeugt, dass ein Befeuern der Spirale aus Vorurteil und Hass aus dem Gefühl angesichts der schrecklichen Ereignisse „doch etwas tun zu müssen“ dem ukrainischen Volk weder kurz- noch langfristig hilft und nur die notwendige Rückkehr zum Frieden erschwert.
Als wir vor drei Jahren das Programm des Symposiums 2020 entwickelten, waren wir erfreut, auch einige Beiträge aus Osteuropa und Russland mit aufnehmen zu können, Kulturregionen, die im westlichen Europa wenig bekannt sind. Dass diese Beiträge nun durch die Invasion in der Ukraine in ein neues Licht gerückt werden, begreifen wir nicht als Grund für eine „Bereinigung“ unseres Programms, sondern vielmehr als Motivation für eine gründliche Auseinandersetzung mit der vielfältigen Geschichte und Kultur Osteuropas, die auch von westlichen Invasionen geprägt war.
Dass kultureller, künstlerischer (tänzerischer) und geistiger Austausch über viele Jahrhunderte hinweg ein wesentliches Element der Völkerverständigung und des friedlichen Zusammenlebens war, ist unsere feste Überzeugung. Deshalb wollen wir auch und gerade in diesen bedrückenden Zeiten daran festhalten und mit unserer Tagung Menschen aus allen Regionen willkommen heißen und im gemeinsamen Erleben unserer Tanzgeschichte Verbindungen jenseits der politischen Gräben schaffen. Wir freuen uns, wenn möglichst viele Tanzforschende, Tanzschaffende, Tänzerinnen und Tänzer uns auf diesem Weg unterstützen.
Herrsching, den 8.5.2022:
Markus Lehner, Herrsching
Prof. em. Carol Marsh, USA,
Prof. em. Marie-Thérèse Mourey, Frankreich
Dr. Irene Brandenburg, Östereich,
Dr. Anne Daye, Großbritannien
(wissenschaftliches Komitee des Symposiums für Historischen Tanz 2022)
Phillip Fuhrmann, Rothenfels
Bildungsreferent Burg Rothenfels am Main